Los gehts
Freitag, 12.38 Uhr, und es geht endlich los. Endlich - weil Kilian und Lousia bei den restlichen Packarbeiten dabei waren und das macht keiner Seite Spaß. Auf der Autobahn merken wir schnell, dass noch viele andere die gute Idee hatten, schon am Freitagnachmittag statt am Samstagmorgen zu fahren. Stau. Stau.Stau. In Holland sind offensichtlich auch Ferien. Hinter dem Füssener Kreuz legen wir einen Picknick-Stopp ein. Die Lage des Rastplatzes ist idyllisch mit Tischen und Bänken an einem kleinen Wäldchen. Der Haken: Wegen der Wetterlage sind Tische und Bänke vermoost und glitschig. Zwischen den Bäumen markieren Taschentuch-Reste im Meterabstand die Stellen, an denen das Klohäuschen links liegen gelassen wurde. Wir bleiben trotzdem, Kohlenhydrate heben die Stimmung.
Gegen 18 Uhr sind wir auf dem Fernpass. Bei 10 Grad und Nieselregen. Zur Erinnerung: Italien wurde als August-Reiseziel auserkoren, um eine Serie zu beenden. 12 Grad Graupel in St. Märgen (Juli 2014), 16 Grad Niesel in Belgien (August 2014), 18 Grad wechselhaft in der Bretagne (Sommer 2015), 6 Grad Schneeniesel in Oberstdorf (Januar 2016) … Als wir nach sehr langer Suche den Romedihof bei Imst endlich finden, schüttet es bei 14 Grad. Eine Wetterdepression rückt näher.
Der Romedihof ist ein umgebauter Bauernhof, mit dem sich Michael, Eckhardt und Albin (Sohn, Vater und Onkel) einen Lebenstraum erfüllt haben. Das Haus firmiert als Jugendherberge/Backpackerhostel und fühlt sich gut an.
Am Eingang findete jeder Gast eine Postkarte mit seinem Namen und lieben Grüßen, an den Holztüren markieren Zettel, wem der Raum gehört. Die Zimmer lassen sich nicht abschließen, die Gemeinschaftsräume mit Duschen und WC sind blitzsauber. In der mit Kachelofen beheizten Stube warten Bücher und Spiele, in der Küche gekühltes Bier. Michael berichtet mit leuchtenden Augen, dass er von den Hostels in Neuseeland inspiriert wurde. Backpacker finden zwar selten den Weg nach Imst, Kletterer dafür umso mehr. Wenn man den Weg denn findet, die Adresse gibt es in zwei Nachbarorten gleich zweimal… Die Verkehrsanbindung ist allerdings ein bisschen zu gut: Der Romedihof ist eingekreist von Bundesstraßen, auf dem Weg zum Gasthof Neuer im Ort gehen wir unter dem Autobahnzubringer durch. Pizza und Salat mit Backhendel sind lecker, auf dem Heimweg sind wir alle ziemlich müde. Bis alle im Bett liegen und schlafen, ist es fast 23 Uhr.
Samstagmorgen. Frühstück gibt es in der Stube. Kaffee, Kakao, Müsli und Cornflakes stehen zur Verfügung, im Kühlschrank Butter, Marmelade und Milch. In großen Papiertüten warten Brötchen und Körnerstangen. Gemeinschaftsküche, free food, danach bitte selbst spülen. Alles bestens. Allerdings haben sich in den Romedihof auch deutsche Reisende verirrt, die sonst vermutlich die besten Liegen am Pool mit dem Handtuch markieren. Ab morgens um 7 Uhr. Denn in der Küche gibt es kaum noch Tassen und Messer, dafür sind in der Stube drei Tische damit dekoriert, an denen allerdings nur ein älteres Paar sitzt. “Wir sind eine größere Gruppe”, erläutert die Dame. Nicole will sich schon auf das Buffet stürzen, das mit Käse, Schinken, Kuchen am Fenster aufgebaut ist. Aber das gehört auch - genau, der größeren Gruppe. Blöd bloß, dass der Rest der Gruppe länger schläft. Und so müssen nach und nach immer mehr Tische an Kleinstgruppen (Familien) abgetreten werden, bis schließlich 15 Tassen auf einem Tisch stehen und auf Frühstücker warten.
Um 9.40 Uhr kommen wir los und Ö1 meldet schon: Stau auf dem Brenner. Immerhin steigen die Temperaturen, nachdem wir auf der italienischen Seite sind. Also zuckeln wir auf der Brennerstraße gen Süden, biegen Richtung Bruneck ab und legen bei Toblach eine Pause ein. Um 13.30 Uhr. Hauptsaison in den Bergen, es geht nur mühsam voran. Der Ort war uns vorher nicht bekannt, anderen dafür umso mehr: Tourismus pur in den Dolomiten. Wir machen eine günstige Rast mit Panini Caldi und Strudel in einer Bahnhofsgaststätte, die vom Besitzer (mit Cowboyhut) sehr liebevoll mit Indianerdeko ausgestattet wurde. Dreien von vier hat es geschmeckt. Kilian erfährt eine harte Wahrheit: Italien ist für gutes Essen bekannt. Chicken Nuggets mit Pommes, Schnitzel und Bratwurst stehen da nicht zwingend auf dem Speiseplan …
Ab 14.30 Uhr fahren wir weiter, mit sagenhaft schöner Aussicht auf die drei Zinnen. Danach geht es mit immer mehr Kurven gen Friaul und Sauris di Sopra. Louisa und Kilian juchzen, “Papa, das ist wie Achterbahn. Schneller. Schneller.” Nicole wird es, wie immer bei solchen Fahrt, übel. Und sie fragt sich, warum ausgerechnet sie solche Ziele und solche Routen auswählt (andererseits hatte sie bei Flugangst auch den Flug nach Neuseeland gebucht. Selber schuld). Wir finden am Wegesrand türkisfarbene Seen, traumhafte Täler und schmucke Örtchen - bis wir um 17.30 Uhr endlich in Sauris bei der Rezeption einlaufen. Und erfahren, dass unsere Ferienwohnung gerade noch geputzt wird. Aber fährt man nicht deshalb nach Italien, weil es da weniger streng und geordnet zugeht, als daheim? Also lassen wir uns mit süßem Zitronentee und Espresso entschädigen und beziehen nach gefühlt 100 weiteren Kurven um 18.30 Uhr endlich unsere Wohnung in Lateis. Ohne W-Lan, ohne deutsches Fernsehprogramm. Kilian vertieft sich verzweifelt in eine amerikanische Soap mit Selena Gomenz undn Shakira auf dem Disney-Channel - die es natürlich nur auf italienisch gibt. Beim Abendessen vertilgt er dafür drei Teller Tortellini. Geht doch.
Am Ende haben wir für 240 Kilometer sechs Stunden gebraucht… Die Programm für die nächsten Tage: Weniger Kurven.
Sonntag in den Bergen und die Sonne strahlt. Zuerst starten wir zu einem kleinen Bummel durch den Weiler Lateis, in dem unsere wunderschöne, wenn auch licht- und sonnenarme Ferienwohnung liegt. Einige alte Häuser stehen zum Verkauf, in einem Gebäude treffen sich gerade Jugendliche und beschallen das Tal mit den aktuellen Charts. Ein Quad und ein Motorrad rasen vorbei, den Helm liebevoll auf dem Rücksitz festgeschnallt. Ahhh, Italien.
Um das Wlan nutzen zu können, müssen wir nochmal zur Rezeption der Ferienwohnungen in Sauris di Sopra. Der Hauptort, mehrere Kilometer und zahlreiche Kurven entfernt. Dort ist gerade ein großer Second-Hand-Markt mit kleinem Festzelt. Wir testen die lokalen Spezialitäten: Zahrer Bier und einen Rotwein, italienische Bratwurst im Brötchen, Frico (eine Art Kartoffelpuffer mit Käse) und Polenta. Überraschung: Kilian liebt Polenta!
Wir brechen zum ersten Bummel zum Agriturismo Monte Ruke auf - im Reiseführer heißt es, leichte 20 Minuten. Gerald entdeckt an der Kirche entlang einen alternativen Weg. Wir keuchen eine knappe Stunde bergauf, steiler Weg, matschig - und stellen fest, dass Prinzessin Louisa die Erste für die erste Wanderung ihre rose Sandälchen ausgewählt hatte. Entsprechend tänzelt sie den Berg hinauf, stets beladen mit mehreren schweren Steinen. Nein, wir wollen nicht wissen, was die voll ausgestatteten italienischen Wanderer denken, deren Weg wir kreuzen… Schließlich treffen wir auf den richtigen Weg und bummeln noch etwas Richtung Aussicht. Drei italienische Familien picknicken, auf dem Gaskocher köchelt das Nudelwasser, die Pasta wartet schon …
Schließlich kommen wir am Agriturismo an. Diese Einkehr haben wir uns verdient! Louisa und Kilian spielen friedlich, die Eltern bestellen eine Karaffe Wein, Wasser und Sirup für die Kinder. Dazu Knödel mit Schwein, Rindergulasch mit Polenta - Kilian futtert Polenta, Louisa beweist sich als fleischfressende Pflanze und bleibt beim Gulasch, die italienischen Wasserweck lieben sie beide. Und die italienischen Bedienungen, allesamt Damen über 70, lieben diese blonden deutschen Kinder. Auf dem Rückweg schaffen wir es, nochmal einen .. ahem, alternativen Weg zu nehmen. Als wir Sauris schließlich erreichen, stellen wir fest, dass tatsächlich eine kurze geteerte Straße zum Agriturismo geführt hätte…. aber ganz ehrlich: Das wäre ganz schön langweilig gewesen.
Da der Kühlschrank leer ist und die Versorgungslage hier in den Bergen mäßig (ein überteuerter Tante-Emma-Laden zwanzig Minuten Fahrzeit entfernt), fahren wir ins Tal. Zwischen Lateis und Ampezzo gibt es echten alten Tunnelbau - nichts mit zwei Röhren, Belüftung, Notausgängen. Sondern in den Stein gemeißelte Tunnel, gepflasterte Fahrbahn, kein Mittelstreifen. Mit einer Ampel an einer Brückenbaustelle, neben der ein Schild die Wartenden tröstet: “Maximale Wartezeit 10 Minuten.” Hat man dann aber Ampezzo erreicht, geht es recht zügig und (juhu!) ohne Kurven voran. Unser erstes Ziel des Tages lautet - mit Blick auf die Stimmung auf der Rückbank - Lago di Cavazzo. Der große Parkplatz verrät, dass hier gelegentlich wohl die Massen strömen. Aber an diesem Montag geht es sehr gemütlich zu. Und der See ist wirklich ein Tipp: Am Ufer viel schattiger Platz unter Pappeln, alles gut gepflegt. Eine kleine Bar bietet auch Boote an, auf der anderen Seite gäbe es sogar einen großen Spielplatz. Wir trinken erst gemütlich Kaffee, dann stechen wir mit dem Tretboot eine Stunde in den klaren See. Louisa muss eine dicke Schwimmweste überziehen und verbringt die 60 Minuten äußerst skeptisch im Heck. Geheuer ist ihr die Sache nicht. Dabei passt alles: Die Sonne strahlt, die Stimmung ist bestens. Also zumindest bei dreien an Bord. Danach gibt es noch Mittagessen in der Bar, alternativlose Panini Caldi. Dann ziehen wir weiter.
Die Anzeige zeigt 30 Grad an. Ein guter Moment für einen Stopp am Tagliamento. Der Fluß führt das Wasser aus den Alpen bis zur Adria, im Frühling und Herbst ein reißender Strom. Im Sommer eine bis zu zwei Kilometern breite Badewanne, ein Wasserspielplatz - wenn man erstmal den Zugang mit dem Auto befunden hat. Zum Glück weist uns der Reiseführer auch hier den Weg und bei Folgária/Cornino finden wir die passende Stelle. (Vorher hatten wir noch einen kleinen See am Straßenrand bewundert, der in allen Schattierungen von hellgrün über türkis bis tiefblau funkelte. Aber das Schild “Achtung, unbewachter Parkplatz” und der Haufen Glas, der offensichtlich von einer jüngst eingeschlagenen Scheibe stammte, ließen uns dann weiterfahren) Der Parkplatz ist hier natürlich auch nicht bewacht. Aber es stehen schon bestimmt zehn Autos am Ufer, weitere wie wir dann direkt auf dem Flussbett. Die Italiener rücken mit Badeliegen und Schwimmausrüstung an. Besonders die schon gereiften Damen barocken Zuschnitts verzichten dabei gerne auf den Sonnenschirm, FKK macht aber niemand. Das Wasser fließt meist nur wenige Zentimeter tief dahin, an einer Stelle vielleicht einen halben Meter. Einige lassen sich in Schwimmreifen gemächlich dahin treiben - hier könnte man gut noch länger verweilen. Aber nach einer Stunde plantschen ist es uns einfach zu warm.
Weiter geht es nach Spilimbergo, eine Kleinstadt mit berühmtem Dom und sehenswerten modernen Mosaiken, heißt es. Sagenhaft lecker sind aber erst einmal die Hörnchen (Pistaziencreme!) im Straßencafé mitten in der Altstadt, sagenhaft dazu die Preise: 1 Euro pro Gebäck, 1,5 Euro pro Cappuccino. Wir bummeln durch die Straßen zum Dom und Castello und stellen fest: Der Ort bereitet sich gerade auf ein großes Fest vor. Lousia, ganz Tochter ihrer Mutter: Ein Fest? “Gehen wir da hiiiiiiiin? Bitteeeeeeee!” Die Mosaiken der Künstlerschule, die wir dann finden, sind übrigens ganz nett, aber nicht umwerfend. Vielleicht haben wir die Meisterstücke aber auch einfach nicht gesehen. Danach suchen wir einen Supermarkt und landen auf der Ausfallstraße beim nächsten Coop. Das Angebot ist genauso übersichtlich, wie die Frische von Obst und Gemüse. Aber mit dem Lidl nebendran langt es, um die Verpflegung der nächsten Tage zu sichern.
Danach fahren wir einen Weg zurück der von der Reiseleitung als Abkürzung gedacht war - aber in Sachen Kurven die Anfahrt mehrfach überbietet: Der Pass über den Monte Rest. Landschaftlich reizvoll, mit Almen und sehr hohen Bergen, Tramonti ist stimmungsvoller Ort, am Fluss ein schöner Zeltplatz. Aber die Kurven treiben diesmal auch dem Fahrer Schweiß auf die Stirn. Andere scheinen die Strecke gerade deshalb zu schätzen: Fahnen und gestapelte Autoreifen in roter Verpackung markieren noch die Etappen einer Rallye, in den Spitzkehren sind Bremsspuren zu sehen. Wir sind froh, als wir endlich zurück bei den normalen Kurven sind.
Nach der langen Rückfahrt lassen wir den Wagen heute (fast) ganz stehen. Am Ortsende. Dann wanderen wir los Richtung Rifugio Eimblateribn. Nach 500 Metern findet die Reiseleitung: Zu steil, überhaupt nicht familientauglich. Wanderleiter Gerald weist darauf hin, dass die Beschwerden nur von einer Person kommen - weiter geht es, kräftig bergauf. Louisa hat diesmal die richtigen Schuhe an, bald haben alle einen großen Wanderstecken. Auf der Hälfte der Strecke entdecken wir eine verlassene Alm, die im (privaten) Innerern aber noch eine Koch- und eine Schlafstelle hat. Danach ist der Weg zur Einkehr recht locker. Das Rifugio selbst ist mit einem großen Anbau offensichtich auf Touristenmassen eingestellt, die laminierte Speisekarte zweisprachig. Wir essen Nudeln mit Pfifferlingen, Polenta und Frigo, trinken Zahrer Bier und Wasser mit Sirup. Den Kindern schmeckt erst der Nachtisch (Blaubeer-Crostata) richtig gut - und irgendwie finden wir es nicht so recht gemütlich. Das liegt vermutlich auch daran, dass die Bedienung das Brot vergessen, das Coperto bei zwei Essen für vier berechnet hat, die Polenta angekokelt war und der Laden insgesamt zu touristisch. Zurück geht es auf einem anderen Wanderweg nach Lateis, eher ein ausgebauter Waldfahrweg. Kilian und Louisa haben mit Walkie-Talkies viel Spaß, vor allem nachdem sie einen Kanal entdeckt haben, auf dem ein Bauarbeiter gerade einen Helikopter einweist …
Später schauen wir beide beim Obstverkauf am Ortseingang vorbei. Dort züchtet eine Familie Johannisbeeren, Erdbeeren, Brombeeren, Heidelbeeren, Himbeeren, Salate und Gemüse. Erst finden wir die 8,5 Euro für drei Schälchen recht saftig. Aber dann lässt die Landwirtin die Bambini (an dieser Stelle: aufsteigende Herzchen) noch Johannisbeeren satt holen und wir kommen ins Gespräch: Die Familie verkauft einen Teil direkt, einen Teil an Supermärkte in der Region. Sie sprechen das “Zahrer Deutsch” und kennen noch die Zeit, als es statt der gemeißtelten Tunnels nur schmale Sträßchen entlang des Abgrunds gab. Die Landwirtin stammt aus Villach, lebt aber schon seit über 50 Jahren bei ihrem Mann auf dem Hof in Lateis. Gemeinsam mit Kinder und Helfern produzieren sie auf dem Hof auch noch eigene Marmelade und Sirup. Da zahlen wir gerne einen Euro mehr.
Am Abend beginnt es zu regnen, in der Nacht schüttet es ergiebig.
Der Tag startet wolkenverhangen, mit Graupeln bei 12 Grad. Sommerurlaub … Wir packen unsere Sachen und fahren ins Tal. Dort strömen jetzt schmutzige Wassermassen durch den Tagliamento, Wasserfälle rauschen die Berge hinab. Und in den kleinen Örtchen Bordano in der Nähe des Lago di Cavazzo gibt es ein wunderbares Schmetterlingshaus. Erst wird einem Film gezeigt, wie Schmetterlinge auf einer Farm in Costa Rica gezüchtet werden. Danach kommt einen kleine Ausstellung - und dann drei unterschiedliche Säle: Lateinamerika, Südostasien, tropischer Regenwald. Jeweils mit Pflanzen, Insekten und Schmetterlingen. Hier lässt es sich gut verweilen: Auge in Auge mit einem Goliath-Käfer, erstaunlicherweise nicht hinter Glas. Gruseln uns über die Tausendfüssler und zischende Kakerlaken (die sind zum Glück in einem Terrarium). Und dann sind da natürlich die Schmetterlinge, darunter sehr viele, die wir noch nie zuvor gesehen haben. Leuchtend grün oder ganz filigran, riesengroß oder ganz klein.
Danach fahren wir ein paar Kilometer weiter südlich nach Ossopo. Auf dem Hügel liegt eine alte Festungsanlage, die man ohne Aufpasser oder Eintritt alleine erkunden kann. Manchmal brummt hier das Geschäft und es werden Mittelalterfeste gefeiert, aber heute ist der Hügel im zarten Niesel verwaist. Die Bar hat zu. Wir parken oben an der Chiesa de San Pedro, die eine sehr wechselhafte Geschichte hatte. Als sie endlich einigermaßen fertig war, kamen die Franzosen und machen sie zum Warenhaus, danach war sie eine Mühle. Im ersten Weltkrieg niedergebrannt, im zweiten zerbombt. Und als sie danach wiederaufgebaut war, kam das Erdbeben. Jetzt steht dort eine einigermaßen skurrile Konstruktion, mit echter Fassade, einem hohen künstlichen Dach, das sehr nach EU-Förderung aussieht, und Absperrungen.
Letzter Stopp des Tages ist Venzone. Dort kehren wir im Cafe Vecchio ein, eine unscheinbare Lottoannahmestelle, hinter sich Café und Restaurant verbergen. Um 15 Uhr gibt es natürlich nichts zu essen, aber für fünf Euro bekommen wir ein gewaltiges Sandwich, Salami, Schinken, Käse, ohne Schnick-Schnack wie Butter oder Tomate. Cappucchino für 1,5 Euro. Wir sind weiter erstaunt, wie wenig touristisch das Friaul selbst in der Hochsaison ist. Venzone ist ein gemütliches Städtchen, das unruhige Zeiten hinter sich hat. 1976 verwüstete im Mai ein Erdbeben diesen Teil des Friauls, der Dom im Ort stürzte nach dem Nachbeben im September dann endgültig ein. Erst seit 1995 ist er wieder zugänglich. An der Fassade und im Inneren sind die Spuren noch deutlich zu erkennen, eine andere Kirche wurde als Mahnmal als Ruine gelassen. Direkt nebenan wären 500 Jahre alte Mumien zu bewundern, die dank eines Pilzbefalls noch gut in Schuss sind. Mit Blick auf den ruhigen Nachtschlaf schauen wir aber nur kurz auf Fotos der Mumien und verzichten auf das Original.
Nur für den Fall, dass das jemand liest - die Fotos kommen am Samstag alle nach. Vorher klappt das mit dem WLan nicht …..
Die gute Nachricht: Es regnet nicht mehr. Die schlechte: Die Sonne scheint bei zarten 12 Grad. Wir ziehen also alles an, was irgendwie wärmt und machen uns auf den Weg. Wenn man von Sauris di Sopra weiter nach Westen fährt, geht es sehr kurvig erst an verschobenen Mauern und abgerutschten Hängen vorbei. Danach kommt eine wunderschöne Berglandschaft. Die hatten wir schon bei der Anreise entdeckt, konnten sie aber nach fünfeinhalb Stunden nicht mehr so recht würdigen. Wir halten an der Baita Ciampigotto, direkt nebenan liegt noch einen andere bewirtschaftete Hütte. Grüne Weiden, Bäume - aber kein Wanderweg in Sicht. Eine andere Familie will losziehen, mit Stöcken und Rucksack - und stutzt ebenfalls. Keine markierten Wege, aber auch keinen Trampelpfade. Will hier denn niemand wandern? Ohne Bewegung schlottern wir auf knapp 1800 Metern bei 9 Grad. Erstmal Einkehr und warmes Essen (lecker, günstig) in der Baita. Die ist bestens besucht, vor allem von Italienern in feinem Wanderzwirn, die sich dort deftig stärken und Rotwein schöppeln. Vermutlich als Belohnung für die Anfahrt. Denn zu Fuß ist hier niemand unterwegs.
Wir versuchen unser Glück also beim Pass Sella di Razzo (1760 Meter hoch gelegen). An der Alm ist der Parkplatz recht voll - der einzige Wanderweg weit und breit startet dort. Also machen wir uns auch auf den Weg, wandern eineinhalb Stündchen hin und zurück. Dabei sind wir nicht wirklich alleine, einer der seltenen Momente, in denen wir mitbekommen, dass gerade Hochsaison ist. Natürlich kreuzen wir dabei mehrere Weiden. Louisa hat mit Blick auf die Kuhfladen nur eine Sorge: “Mama, habe ich Kuh am Schuh?” Dabei würde das Schokobraun oder Grüngelb so gut mit ihren pinken Schuhen harmonieren. Danach gibt es bei der Alm noch Cappuccino und heiße Schokolade.
Auf dem Weg nach unten ein Zwischenstopp: Eine Kuhherde wird von einer Weide zur nächsten gebracht und blockiert den Pass.
In Sauris di Sopra wird kurz an der Rezeption der Blog losgeschickt, die Ferienwohnung müssen wir auch bezahlen. Mit knurrendem Magen fahren wir nach Sauris di Sotto und stellen fest, dass die Reihenfolge der Stopps an diesem Tag einfach falsch war: Beim Prosciuttificio Wolf werden jährlich zirka 50.000 Keulen Schinken geräuchert, dazu gibt es noch andere Wurstwaren. Führungen gibt es leider nur samstags, gegen Geld verkosten kann man immer. Der gute Culatello liegt also 130 Gramm schwer dünn geschnitten da - Gerald holt kurz Wasser, Nicole macht ein Foto - da ist der Teller auch schon leer, bis auf ein Anstandsscheibchen. Die Grissini dazu sind auch schon fast ganz weggeknabbert und zwei strahlende Kinder rufen: Mamaaaa, mehr holen. Der Metzgereiangestellte grinst, als wir nach fünf Minuten die nächste Charge kaufen und danach noch eine Ladung für die Ferienwohnung. Beim Bummel durch den Ort stellen wir fest: Mit so einem Gewerbesteuerzahler lässt es sich offensichtlich gut leben.
Zurück in Lateis schnappen sich Kilian und Louisa die Walkie-Talkies und sausen zu den Beerenhändlern. Dort becircen sie die Landwirtin und kehren mit T-Shirts voller Beeren (und Beerenflecken) zurück.
Es ist bedeckt, immerhin bei 15 Grad. Wir starten zur letzten Bergwandertour: Über die Staumauer, die atemberaubend nach unten geht, durch einen langen, schmalen, gemeißelten Tunnel zum Passo del Pura.
Im Vergleich zum Passo Rest kommt er uns recht gemächlich vor. Oben führt ab dem Rifugio Tita Piaz ein botanischer Rundweg, würde aber irgendwie vor allem nach unten führen. Da entdeckt die Reiseleitung ein Wanderschild: 40 Minuten zum Casera N. Das klingt doch super! Der Wanderführer weist mit Blick auf die Karte auf die beträchtliche Steigung hin, vergeblich. Der markierte Weg geht eine gute Stunde durch den Wald steil bergauf. Der Wandernachwuchs schlägt sich tapfer, Kilian hatte sich diesmal vorsichtshalber Gummibärchen eingepackt - man weiß bei diesen Eltern ja nie! Casera N. liegt schön auf einer Lichtung.
Das Häuschen ist frei zugänglich und top gepflegt, mit einem großen Ofen und Schlaflager. Eine italienische Familie aus der Emilia Romagna schürt draußen gerade den Grill an, wir bekommen einen Plastikbecher Wein (“Eigenproduktion”!) in die Hand gedrückt, dunkelrot und süffig. Wir tragen uns ins Gästebuch der Hütte ein.
Tatsächlich ist die Gegend touristisch fast ausschließlich in italienischer Hand, das zeigt sich auch hier. Was ja nicht unbedingt ein Nachteil ist. Ein, zwei deutsche Zeilen, sonst viel italienisches Lob. Zurück gehen wir auf dem Fahrweg, der eher ein guter Wanderweg ist.
Um 13.30 Uhr stehen wir vor dem Rifugio Tita Piaz und hadern: Das ehemals wohl kleine Hüttchen ist inzwischen ein Schuppen aus Beton. Ob da nicht eher die Abzocke lauert? Aber bis wir bei uns in Lateis wären, hätte das dortige Ristorante über Mittag wohl schon zu… Wir wagen es und werden belohnt. Das Essen (Teigtaschen mit frischen Kräutern gefüllt, dazu Ziegenkäse. Gnocchi aus geräuchertem Ricotta. Nudeln mit Soße) ist superlecker. Die Kinder bekommen ein kleines Geschenk (Seifenblasen und Kette). Und dann die Überraschung bei der Rechnung: Nur zwei Coperto berechnet. Das Achtel Merlot: 1 Euro. Das Wasser mit Sirup für die kids: Nix. Das Eis? Die Bedienung lacht: “Gratis”. Wir geben dickes Trinkgeld.
Am Abend steuern wird dann das Festzelt an, denn in Lateis wird ab jetzt vier Tage lang groß gefeiert: Das Käsefest, mit Volkslauf, Helikopterflügen und am Freitagabend erstmal Musik. Vier Herren, im Schnitt 75, geben an Gitarre, Kontrabass und Akkordeon alles. Das Bewirtungspersonal, im Schnitt 20, steht schon 15 Mann hoch bereit. Und im Zelt verlieren sich ein paar Leutchen. Hm. Wir zögern. Ein Fest ohne Gäste? Die Lösung dämmert uns, als der Wagen der Metzgerei Wolf anrollt und kiloweise Würstchen liefert - wir sind um 19 Uhr einfach viel zu früh dran! Als wir bis 20 Uhr dann gemütlich Würstel und Pommes, Käse, Schinken und Polenta gegessen, Wein und zum letzten Mal Zahrer Bier geschlürft haben, stehen die Gäste Schlange. Und wir müssen langsam zurück - fertigpacken. Morgen geht es weiter in die Euganeischen Hügel.
Um 10.09 Uhr sind wir in Lateis startklar. Ein echter Rekordwert. Aber da das Wetter in den Bergen jetzt wieder schön warm wird, fällt uns der Abschied richtig schwer - schön war die Woche. Die Kinder haben die Ferienwohnung geliebt, auch ohne Terrasse, Garten und wirklich brauchbaren Balkon. Wir zuckeln noch einmal durch die gemeißelten Tunnel ins Tal, erinnern uns daran, wie uns am Mittwoch ein dicker Lastwagen entgegengekommen war uns erstmal kräftig rückwärts rangiert werden musste. Dann fahren wir auf der Autobahn nach Udine, Kilian staunt darüber, dass die Hügel am Horizont schon zum Nachbarland Slowenien gehören. Louisa weigert sich zu schlafen und singt (okay: gröhlt) “Wie schön, dass du geboren bist” in Endlosschleife. Nach Undine beginnen die Staus - Rückreiseverkehr aus Kroatien, Anreiseverkehr an die Küstenorte Lignano, Jesolo, Caorle. Wir fahren ab nach Portoguardo und landen einen Treffer: Eine wunderbare kleine Stadt mit Kanal. Picknick am Fluss hinter dem Dom, dann noch eine kleine Runde durch den Ort. Der ist zur Mittagszeit natürlich menschenleer, aber im Dom entdecken wir immerhin das Magazin zu Papa Francesco. Vermutlich der erste Papst, der ein Fanzin hat - mit Foto-Storys! Gegenüber vom Parkplatz gibt es noch einen Kaffee an der Bar (und einen Blick auf die Speisekarte. Hier hätte es Häppchen gegeben!), dann sind wir zurück auf der Autostrada.
Ab 17 Uhr können wir einchecken, schon um 15 Uhr sind wir in Arqua Petrarca im Hinterland von Padua. Vor den Toren des Örtchens ein überdimensionierter Bezahlparkplatz, der komplett leer ist. Wir parken wie die Italiener an einer kleinen Ausfallstraße und starten zur ersten Besichtigung. Arqua Petrarca trägt den Namen “eines der schönsten Dörfer Italiens” zurecht. Wie gemalt liegt es am Hang. Vor der Kirche der Sarkophag mit dem Dichter Petrarc, daneben Pinien mit lärmenden Zikaden. 30 Grad, die Hitze flirrt, nur ein paar Touristen irren durch die Gassen und essen Eis.
Punkt 17 Uhr stehen wir dann - nicht ein paar Meter, wie es im Reiseführer hieß, sondern einen satten Kilometer vom Zentrum entfernt mitten in den Weinbergen - vor unserem B&B. Eine kleine grüne Oase, mit Pool, paradiesischem Garten samt Katzen, Schildkröten und reifen Feigen und den wunderbaren Gastgebern Franco (Jahrgang 1938!) und Viviana (deren Geburtstag 28.10.1952 das Wlan-Passwort ist). Das Haus ist voll mit Weltreisenerinnerungen, unsere zwei Zimmer etwas skurril: Louisa und Nicole schlafen in einem Schrankbett, Kilian und Gerald auf Einzelbetten mit beträchtlicher Fallhöhe. Bei Kilian wird vorsichtshalber eine Matratze darunter gelegt, tatsächlich macht es nachts plumps.
Nach einem erstem Bad im Pool laufen wir an der kleinen Straße entlang in den Ort. Überraschung. Dort wurde inzwischen ein Markt aufgebaut, die Gassen sind voller Menschen, alle Restaurants bis auf den letzten Platz besetzt. Aber mit zwei blonden Kindern bekommt man dann doch auch ohne Reservierung noch einen Tisch. Es gibt eine sehr große Pizza für alle, der Abend ist lau - und bis wir endlich heimlaufen, ist es schon stockdunkel.